III. Die Gründung

Damit sind wir nahe an die Gründung der Gesellschaft für die Geschichte des Protestantismus in Österreich herangekommen. Sie erfolgte mit Wirkung vom 9. August 1879. Dieses Datum steht auf dem Bescheid des k.k. Ministeriums des Inneren, mit dem die eingereichten Statuten genehmigt wurden. Die Männer der ersten Stunde waren der aus der Toleranzgemeinde Rutzenmoos in Oberösterreich stammende Pfarrer von Brünn/Brno Gustav Trautenberger (1836–1902), der reformierte Oberkirchenrat Charles Alphonse Witz-Oberlin (1845–1918) und der in Teschen/Tĕšín/Cieszyn wirkende schlesische Senior und Reichsratsabgeordnete Theodor Carl Haase (1834–1909).

Von Trautenberger stammte der erste Impuls. In seiner Zeitschrift Halte, was du hast! hatte er schon 1875 den nachfolgenden Gedanken formuliert (1875/7, S. 87):

"Die ev. Kirche Österreichs wird in sechs Jahren die erste Säcularfeier ihrer staatlichen Existenz begehen. Wir zweifeln keinen Augenblick, dass sie sich zu dieser Feier würdig vorbereiten werde. Wir haben diesbezüglich gar Manches auf dem Herzen. Für heute nur die Frage: Sollten nicht auch wir, wie unsere Glaubensbrüder in Frankreich und die Israeliten in Österreich, einen historischen Verein in unserer Mitte aufrichten? – Man sage, was man wolle: die Geschichte ist und bleibt die Lehrmeisterin der ganzen Menschheit, wie einzelner Menschheitsgruppen. Wären sie mit ihren Lehren uns stets gegenwärtig gewesen, so wäre gar mancher Missgriff im protestantischen Lager Österreichs vermieden worden und manche Niederlage uns erspart geblieben."

Er nahm Bezug auf die Gründung der „Société de l’histoire du protestantisme français“ in Paris, die auf der Pariser Weltausstellung 1878 die goldene Medaille und auf der Wiener Weltausstellung 1873 die Fortschritts-Medaille erhielt. Hinzu gesellte sich in Wien die „Alliance israélite“ mit ihrem Forschungsinteresse, dem die Protestanten nicht nachstehen wollten – schon gar nicht mit ihrer Neigung zur ,Moderne‘, um sich vom Antimodernismus der Katholiken abzugrenzen. Eine ‚Fortschrittsmedaille‘ wäre da genau das Richtige gewesen. 

Der aus dem Elsass stammende reformierte Oberkirchenrat Witz-Oberlin sekundierte seinem lutherischen Amtsbruder und forderte die Mitglieder der evangelischen Kirche, deren Geistliche und Freunde auf, ihre Zustimmung zur sofortigen Gründung eines historischen Vereins zu bekunden. Das Interesse war enorm. Das Anliegen, die Geschichte des Protestantismus seit dem Beginn der Wittenberger Reformationsbewegung bis zur – damaligen – Gegenwart zu erforschen und darzustellen, verband sich mit der Suche der Minderheitskirche nach einer eigenen Identität im katholischen Habsburgerreich. 

Gustav Reingrabner hat das sehr treffend beschrieben: „Die Identitätsfindung des nach wie vor um seine innere Positionierung ringenden österreichischen Protestantismus war ein unausgesprochener, aber deutlich sichtbarer Zug der Forschung und publizistischen Tätigkeit.“ (Reingrabner 2004, S. 196).