VIII. Neuanfang nach 1945 – die Ära Kühnert

Nach dem Zweiten Weltkrieg begann die Arbeit der Gesellschaft mit großer Verzögerung. Das erste Jahrbuch erschien erst 1951, auch gekennzeichnet als Festschrift für den reformierten Systematiker Josef Bohatec (1876–1954) zum 75. Geburtstag. Darin wurden die „bahnbrechenden Leistungen des großen Gelehrten“ gewürdigt, „die der ganzen wissenschaftlichen Welt gehören [und die] nicht nur auf dem Boden Österreichs emporgereift sind, sondern selbst ein bedeutsames Stück Gegenwartsgeschichte des österreichischen Protestantismus darstellen“. Vielleicht signalisiert dies eine gewachsene theologische Profilierung der Kirchengeschichte, die sich dadurch von einer bloß territorialgeschichtlich orientierten Deutung eines konfessionellen Segments der österreichischen Gesellschaft unterscheidet. Die Kirchengeschichte stellt auch einen Brückenschlag zur Fakultäts- und zur Theologiegeschichte dar.

Das Jahrbuch wurde nunmehr vom Ordinarius für Kirchengeschichte Wilhelm Kühnert (1900–1980) herausgegeben, der gemeinsam mit Josef Karl Mayr (1885–1960), dem ehemaligen Direktor des Haus-, Hof- und Staatsarchivs, der 1946 aus politischen Gründen in den Ruhestand versetzt worden war,  seit 1951 das Präsidium der Gesellschaft innehatte und 1955 das 75-Jahr-Jubiläum der Gesellschaft zelebrierte. Über dreißig Jahre leitete er die Arbeit der Gesellschaft, prägte den Ruf des Jahrbuchs, stets darauf bedacht, die Waage zwischen wissenschaftlicher Exzellenz und gemeindenaher Aufarbeitung lokaler und regionaler Kirchengeschichte zu halten, dabei aber nicht in eine populäre Chronistik abzugleiten. Die Kontakte zu den historischen Vereinen in den Bundesländern wurden aufgenommen und deren Publikationsorgane im Jahrbuch vorgestellt und darin vorkommende ‚Protestantica‘ rezensiert.

Das Schatzmeisteramt übernahm bis 1979 der Wiener Superintendent Georg Traar (1899−1980), das des Schriftführers bis 1966 der nach Saarbrücken bzw. Tübingen berufene Wiener Mediävist und Theologe Harald Zimmermann (1926−2020). 

Seit 1951 hat sich die Historikerin und Theologin Grete Mecenseffy (1898–1986) in die Annalen des Jahrbuchs eingetragen. Nachdem sie mit Arbeiten zur oberösterreichischen Reformationsgeschichte promoviert (1951) und habilitiert (1952) wurde, die sie zum Teil im Jahrbuch publizieren konnte, rückte sie mit ihrer Gesamtdarstellung der Geschichte des Protestantismus in Österreich (1956), dem maßgeblichen Nachschlagewerk über viele Jahre, in den Vordergrund. Sie folgte 1961 dem verstorbenen Vizepräsidenten Mayr in dessen Funktion und bekleidete diese bis 1981. In der Nachfolge von Loserth und Dedic widmete sie sich der Täuferforschung und krönte diese Arbeit durch die Herausgabe dreier Quellenbände (1964, 1972, 1983). 1981 wurde ihr, wie schon zuvor 1979 Kühnert, Bischof Oskar Sakrausky (1914−2006) (der sich eindringlich um die Berücksichtigung der Frömmigkeitsgeschichte bemühte) und Georg Traar, die Ehrenmitgliedschaft verliehen. Die Hundertjahrfeier der Gesellschaft 1979/80 markierte einen Wendepunkt. Seit 1978 öffnete sich die Gesellschaft zunehmend den Themen der zeitnahen Kirchengeschichte des 20. Jahrhunderts, zu ersehen an dem von Reingrabner und dem Berichterstatter herausgegebenen Quellenband 1988/89. Zuvor waren zeitgeschichtliche Fragestellungen weitestgehend ausgeklammert worden; in kirchengeschichtlichen Gesamtdarstellungen, die im Kontext der Gesellschaft entstanden, standen die kurzen Bemerkungen zur NS-Zeit durchwegs in einem aussagekräftigen Spannungsverhältnis zum anhaltenden Lamento über Gegenreformation und ‚Ständestaat‘.